„Kreuzerhöhung“, ein eher unbekanntes unter den unzähligen Festen, die Katholiken feiern. Das klingt zumindest für einen Nicht-Hardcore-Katholik irgendwie sonderbar. Um was geht es da eigentlich? Was hat es mit dem Kreuz auf sich? Spricht die Bibel von Kreuzerhöhung? Jesus spricht tatsächlich von seiner Erhöhung: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen“ (Joh 12,32). Er wird zunächst nicht auf einem Thron erhöht, sondern am Kreuz, dem grausamsten Hinrichtungswerkzeug der Antike. Im Alten Testament wird schon mal von einer „Erhöhung“ berichtet. Gott beendete durch Mose eine Schlangenplage , indem er ihm befahl eine Bronzeschlange anzufertigen und diese auf einem Stock anzubringen. Wer zu dieser erhöhten Schlange emporblickte, wurde vom Gift der Schlangen geheilt (vgl. Num 21,4-9). Hierauf nimmt Jesus Bezug, wenn er sagt: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat“ (Joh 3,14f).
Jesus spricht demnach mehrmals von seiner Erhöhung und bringt diese mit seiner Erlösung in Verbindung. Es mag paradox erscheinen, aber das ist nur indirekt der Inhalt des Festes der Kreuzerhöhung. In diesem Fest gedenken wir der Wiederauffindung des Kreuzes, an dem Jesus gestorben ist, um das Jahr 326. Die Finderin ist Kaiserin Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin dem Großen. Man könnte jetzt kritische Nachforschungen anstellen und fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass das aufgefundene Kreuz tatsächlich das Kreuz Christi ist. Viel spannender aber erscheint mir die Frage, welche Bedeutung das Kreuz Christi für jeden Einzelnen von uns hat. Und insofern geht es jetzt doch um die Erhöhung Jesu am Kreuz.
Irgendwie hängen die Begriffe Kreuz und Erlösung eng miteinander zusammen. In der Kirche wird im Allgemeinen viel von Erlösung gesprochen Zugleich wirken viele Christen immer noch ziemlich unerlöst, wie Friedrich Nietzsche einmal in „Also sprach Zarathustra“ prominent formulierte. Auch in unserem Leben machen wir Erfahrungen, die uns infrage stellen lassen, ob bzw. inwiefern wir erlöst sind. Daher ein paar Punkte, was Erlösung nicht bedeutet.
Erlöst sein heißt nicht, das (verlorengegangene) Paradies auf Erden zurückzuerhalten. Dieses werden wir erst finden, wenn wir in „unsere Heimat […] den Himmel“ (Phil 3,20) eintreten. Davor gilt: „Viel Böses erleidet der Gerechte, doch allem wird der HERR ihn entreißen“ (Ps 34,20). Andererseits haben wir jetzt die Möglichkeit, unser Leid mit dem Leiden Christi zu vereinen und können es auf diese Weise fruchtbar für uns und für Andere machen. Dies erklärt der heilige Paulus, wenn er schreibt: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Ich ergänze in meinem irdischen Leben, was an den Bedrängnissen Christi noch fehlt an seinem Leib, der die Kirche ist“ (Kol 1,24). So wie Christus „für uns“ gelitten hat (Röm 5,8), so können auch wir unser Leid fruchtbar für Andere machen, indem wir es mit dem Leiden Christi vereinen und aufopfern. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem empfehle ich die „Geschichte einer Seele“ von Therese von Lisieux. Dadurch erhält unser Leid einen Sinn.
Erlöst sein bedeutet nicht, ewig auf dieser Welt zu leben. Wie auch alle anderen Menschen müssen Christen sterben. „Der Lohn der Sünde ist der Tod …“ (Röm 6,23a) und davon sind wir nicht ausgenommen. Wie Paulus aber gleich hinzufügt „… die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn“ (Röm 6,23b). Unser Leben ist mit dem Tod nicht vorbei, hier endet nur ein Abschnitt davon. Nach unserem Tod in dieser Welt werden dank Jesu Erlösung in das ewige Leben bei Gott eintreten.
Erlöst sein bedeutet nicht, unfähig zur Sünde oder nicht mehr zur Sünde hingezogen zu sein. Dieser Neigung zur Sünde – z.B. immer Recht haben zu wollen oder sich auf Kosten Anderer zu bereichern – ist uns eventuell immer noch zu eigen. Selbst Paulus muss gestehen: „Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich“ (Röm 7,19). Obwohl wir eigentlich gut sein wollen, sind auch wir Christen versucht, ungut zu handeln. Dank Jesu Erlösungswerk am Kreuz können wir aber Vergebung von Gott geschenkt bekommen, denn „[e]r (Christus) hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat“ (Kol 2,14). Wir dürfen immer wieder echte Vergebung erfahren.
Erlöst sein schließt nicht aus, dass ich mich von Gott verlassen fühle. Schließlich erlitt selbst Jesus am Kreuz das Gefühl vollkommener Gottverlassenheit, die sich im Ausrufen des Anfangsverses von Psalm 22 dramatisch widerspiegelt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Auch wenn wir uns manchmal verlassen fühlen, dürfen wir die Gewissheit der Nähe Gottes haben. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gesandt, dass jeder, der an ihn nicht glaubt, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Welch größeren Beweis seiner Liebe sollte Gott uns geben, als wenn er selbst Mensch wird und für uns leidet? Er verlässt uns auch im Leid nicht. Wir wissen, dass wir von Gott unendlich geliebt sind.
Warum Gott aber möchte, dass wir das Paradies erst im Himmel in seiner Fülle wiederfinden, warum unser Leben ein beständiger Kampf mit der Sünde ist und warum er uns oft so fern erscheint, können wir im Letzten nicht wissen. Wir dürfen aber darauf vertrauen, dass Gott Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,8) und es deshalb gut für uns ist.
Aber wovon hat uns Jesus Christus erlöst? Auch wenn es bereits angeklungen ist, ist folgender Dreischritt hilfreich, die Erlösung, die uns Jesus schenkt, besser zu verstehen. Es ist letztlich ein Bild und kann passend mit „Die Brücke“ überschrieben werden. Dieses Bild – Jesus als Brücke der Menschen zu Gott – geht auf die Heilige Katharina von Siena zurück und wird in ihrem Buch „Der Dialog. Ein Gespräch mit Gott über seine Vorsehung“ entfaltet. Hiermit lässt sich in drei Schritten gut verständlich die Erlösung und somit die Bedeutung des Kreuzes erklären:
Schritt – die Schöpfung: Gott erschuf den Menschen und lebte in Freundschaft mit ihm. In der Liebe zu Gott, seinem Nächsten und letztlich der Schöpfung besteht die Berufung des Menschen. Dafür wurde er geschaffen, das ist der Sinn seines Lebens. Das war das bzw. im Paradies.
Schritt – die Sünde: Schon die ersten Menschen sagten aber „Nein“ zu dieser Liebe. Sie brachen das einzige Gebot, das Gott ihnen gegeben hatte und traten somit in Rebellion gegen ihren Schöpfer. Dieses Nein zu Gott ist die Sünde. Nicht nur sie selbst rebellierten gegen Gott, sondern auch ihre Nachfahren. Durch diese Sünde(n) wurde dieses Liebesverhältnis zwischen Gott und Menschen zerstört, die Geschöpfe trennten sich von ihrem Schöpfer. Ein unüberwindbarer Abgrund riss zwischen Gott und den Menschen auf: So tief, dass ihn die Menschen aus eigener Kraft nicht mehr überwinden konnten.
Schritt – die Erlösung: Durch Seine Menschwerdung kommt Gott in Jesus Christus den Menschen entgegen. Durch sein Tod am Kreuz wird der Abgrund zwischen Gott und den Menschen überwunden. Das Kreuz füllt den Abgrund, der sich zwischen Gott und Menschen aufgetan hat. Er bildet die Brücke der Menschen zu Gott.
Die Erlösung besteht demnach wesentlich darin, dass in Christus das, was durch die Sünde verloren ging, wiederhergestellt wird: die Freundschaft mit Gott. Der Mensch kann seiner Berufung zur Liebe Gottes und des Nächsten nun wieder gerecht werden. Christus ist der Weg zum Vater, durch das Kreuz kann jeder Mensch zu Gott gelangen. Dennoch ist Er „nur“ die Brücke. Es ist ein Angebot des liebenden Vaters an uns. Weil Gott aber unsere Liebe möchte und Liebe immer Freiheit (und somit auch Freiheit Nein zu sagen) voraussetzt, überfällt er uns nicht mit dem Kreuz, sodass wir gar keine andere Möglichkeit hätten, als diesen Weg zu gehen. Gehen muss bzw. darf jeder Einzelne diesen (Kreuz-)Weg selbst.
Was aber hat das jetzt mit dem Fest der Kreuzerhöhung zu tun? Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist keine Idee, sondern sie ereignete sich in unserer Welt, in Israel, vor 2000 Jahren. Auch Sein Tod am Kreuz für uns ist keine abstrakte Theorie, sondern ereignete sich an einem echten Kreuz aus echtem Holz. Das reale Blut Jesu Christi, durch das ich erlöst wurde, ist über dieses Kreuz geflossen. Dieses Stück Holz ist folglich bedeutender für mein Leben als jedes andere Holz der Welt. Es ist ein Schatz. Die Wiederauffindung von diesem Holz feiern wir heute.
Es mag auf den ersten Blick unverständlich sein, warum wir einem Stück Holz so viel Ehre geben. Auf den zweiten Blick aber, der bedenkt, was damals an diesem geschehen ist, wird die Verehrung, die wir durch dieses Fest zum Ausdruck bringen, nachvollziehbar. Letzten Endes gilt jede Ehre aber Christus allein, ohne den das Kreuzesholz bedeutungslos wäre.
Autor: Frater Wilhelm Mauser, Novize in Stift Heiligenkreuz